Marianne Binder-Keller
  • Person
  • Programm
  • Vorstösse
  • Blog
  • Medien
  • Wahlen
  • Testimonials

2023 — Marianne Binder-Keller

Marianne Binder-Keller
  • Person
  • Programm
  • Vorstösse
  • Blog
  • Medien
  • Wahlen
  • Testimonials
Play Pause Unmute Mute

Votum zur Neutralitätsinitiative

Recht und Unrecht gleichsetzen, ist ein falsches Verständnis von Neutralität. Mein Votum zur Neutralitätsinitiative in der Sommersession 2025.

Erlauben Sie mir ein paar wenige einordnende Gedanken zum Thema Neutralität der Schweiz als Demokratie und Rechtsstaat – weil das ist ja der Punkt. Wären wir keine Demokratie, sondern eine Diktatur, dann würden Recht und Unrecht und Völkerrecht an uns abperlen, wie, ich weiss nicht, das Öl in einer neuen Teflonpfanne. Dann müssten wir uns nicht um Recht und Unrecht kümmern, dann könnten wir neutral sein gegenüber Recht und Unrecht.

Ich bin ein Kind des Kalten Krieges. Ich habe eine Kindheit mit einer Mauer zwischen dem europäischen westlichen, rechtsstaatlichen, demokratischen Europa und der Diktatur der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten erlebt. Wer in die Freiheit zu flüchten versuchte, wurde an dieser Mauer erschossen, noch im Jahr der Wende. Eindrückliches Testimonial dafür bildet die historische Aufarbeitung des Horrors an der Berliner Mauer, das Mauermuseum und die Gedenkstätte. Es ist das Brandmal der Teilung in ein freies und ein unfreies Europa. Es war nach dem Krieg noch dreissig Jahre lang Realität, weil die Sowjetunion ihre sogenannten befreiten Staaten von der einen Diktatur gleich in eine neue überführte.

Wir in unserem Land erlebten Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmtheit. Zwar sind wir neutral, aber es gibt wohl keinen Zweifel, zu welchem Block wir uns letztlich zugehörig fühlen: zum westlichen Bock. Dieser westliche Block, in welchem wir geografisch und auch ideologisch eingebettet sind, garantiert letztlich auch uns die für uns völlig selbstverständlich gewordene Rechtsstaatlichkeit, die Rechtssicherheit und die Demokratie. Das bedeutet: Dieser Zugehörigkeit gegenüber gibt es wohl keine Neutralität. Da können wir noch lange neutral sein. Und weil wir ein Rechtsstaat sind, gibt es eben auch in der Beurteilung von Recht und Unrecht keine absolute Neutralität. Und weil wir dem westlichen Block, den freien Rechtsstaaten zugehörig sind – nicht mit Bündnissen, aber wertekonzeptiert -, gibt es auch in der gemeinsamen Verteidigung dieser Werte keine absolute Neutralität. Dies ist in unserem eigenen Interesse, auch im Sicherheitsinteresse der Schweiz.

Ich habe Eltern, die den Zweiten Weltkrieg als Kinder erlebt haben – mit der ständigen Angst, die Achsenmächte würden unser Land einnehmen. Das waren Italien im Süden und die deutsche Wehrmacht im Norden. Österreich, das wissen Sie, ging 1938 oppositionslos „heim ins Reich“. Frankreich war besiegt. Und bitte sehr, weitere Länder Europas wurden eingenommen, beispielsweise auch Holland, notabene ein neutrales Land, am 10. Mai 1940. Dass das Land sich als neutral erklärt hatte, hat nicht geholfen. Es wurde vom Naziregime besetzt, was bedeutete, dass letztlich auch Anne Frank in Auschwitz sterben musste.

Auch die Schweiz als neutrales Land war sich bewusst, dass die Neutralität allein keine Garantie bietet, nicht überrannt zu werden. Ansonsten hätte man ja keine Vorkehrungen für den Einmarsch getätigt. Die Regierung unseres Landes versuchte, in diesem Hexenkessel des Überlebenskampfes das Land zu retten. Die Schweiz tat zwei Dinge: Im Wissen darum, über Infrastrukturen zu verfügen, welche den Achsenmächten dienten, machte sie ihnen Konzessionen, die letztlich die Neutralität komplett verletzten. Sie gewährte aber auch im Wissen um die Neutralität vielen Menschen Aufnahme. Wir wissen heute, es waren zu wenige, das Boot war nicht voll. Die Zivilbevölkerung leistete damals aber Grossartiges für viele Menschen, welche aufgenommen und versteckt wurden. Auch die Beamten in den Kantonen, welche die Augen zudrückten und dies duldeten, leisteten einen wichtigen Beitrag.

Was will ich da bezüglich Neutralität sagen? Als Gnade der Spätgeborenen zwei Dinge: Erstens, die Generation von damals versuchte im Sinne der Neutralität das Land zu retten – ich sage dies mit aller berechtigten Kritik, die im Bergier-Bericht schmerzhaft aufgearbeitet werden musste. Es ist eine Kritik, die ich mittrage, aber wie gesagt, man versuchte das Land vor der Invasion zu bewahren. Wir Spätgeborenen haben davon profitiert, und wir profitieren nach wie vor davon.

Denn letztlich hat es die schweizerische Regierung damals trotz aller Kritik, sie sei zu wenig solidarisch gewesen, geschafft, sich im Nest derer einzurichten, die fortan die westliche freie Rechtsstaatlichkeit schützten. Dieser Rechtsstaatlichkeit sind wir verpflichtet. Dieser Verpflichtung im Dienste der eigenen Sicherheit gegenüber kann es doch kein Neutralitätsverständnis geben, wie es die Initiative will. Als moderner Rechtsstaat sind wir dem Recht verpflichtet, dem Völkerrecht. Wir unterscheiden zwischen Recht und Unrecht. Wenn wir das als neutraler Rechtsstaat nicht mehr tun, also diese Unterscheidung nicht mehr machen, dann sind wir einfach nicht mehr neutral.

Für mich ist es klar: Neutralität der Schweiz muss bedeuten, wir greifen niemanden an, verteidigen uns jedoch bei einem Angriff; aber nie kann es bedeuten, als westlicher Rechtsstaat und Demokratie bei einem Angriff auf einen Rechtsstaat nicht mehr zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden – und das will diese Initiative. Lehnen wir sie ab, im Interesse der Freiheit und Unabhängigkeit der Schweiz und gerade im Sinne der Neutralität – einer Neutralität, die ich unbedingt erhalten will, in dem Sinne, dass wir nie Kriege beginnen, uns jedoch zur Wehr setzen, wenn wir betroffen sind. Wenn wir das tun, können wir es nicht erst tun, wenn die erste Rakete auf Schweizer Boden einschlägt. Es braucht die internationale Kooperation, die Interoperabilität.

Was meinen denn die Initianten? Dürfen wir erst dann Bündnisse eingehen, wenn die ersten Panzer rollen? Ich bin nicht sicher, ob da noch irgendjemand Lust auf Bündnisse hat. Wenn wir Sanktionen nicht mehr solidarisch mittragen, wer hat dann noch Lust auf Solidarität mit uns? Das Konzept dieser Initiative ist ein massiver Schuss ins eigene Knie. Es ist gegen unsere Sicherheitsinteressen, und es widerspricht klar Absatz 1 von Zweckartikel 2 der Bundesverfassung: „Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.“

Ich komme zum Schluss. Diese Initiative schützt unsere Freiheit, unsere Unabhängigkeit und unsere Sicherheit nicht. Im Gegenteil: Sie legt uns Fesseln an, und – um ein Bild aus Wilhelm Tell heraufzubeschwören, das auch die Initianten immer gerne bemühen – sie führt direkt in die hohle Gasse. Und da schiesst Tell nicht Gessler ab, sondern sich selbst. Also, wenn wir Zweckartikel 2 folgen wollen, dann stehen wir zur bewaffneten Neutralität. Wir greifen niemanden an und verteidigen uns bei einem Angriff. Zur Prävention vor diesem Angriff braucht es die internationale Kooperation mit anderen Armeen. Allein verteidigen können wir uns nicht.

Zusammengefasst: bewaffnete Neutralität Ja, aber mit internationaler Kooperation. Das verhindert die Initiative, nicht aber der Gegenvorschlag.

 

Link zur ganzen Debatte

Share

Kommentare sind geschlossen.

marianne.binder@parl.ch
T +41 79 686 01 31

             

Impressum
Datenschutz
Nutzungshinweise

2023 — Marianne Binder-Keller

Designed by WPZOOM