1 Was ist für Sie Heimat?
Da, wo meine Familie, meine Verwandtschaft und meine Freunde sind.
2 Wo würden Sie gern leben ausser hier?
In Venedig.
3 Welches sind die drei wichtigsten Werte, die Sie Ihren Kindern vermitteln?
Lebensfreude. Zuversicht. Grosszügigkeit.
4 Was machen Sie bewusst anders als Ihr Vater bzw. ihre Mutter?
Meine Eltern hatten strikte Vorstellungen bezüglich Ausgangsregeln. Da handelten sie sich bei uns Kindern im Teenageralter nervenaufreibende Diskussionen ein. Wenn die Eltern jeweils fragten, kann dieses Affentheater einmal aufhören, dann fand ich, es liegt allein an euch. Ich war deshalb in dieser Sache bei meinen Kindern viel bequemer.
5 Welche Person hat Ihre Politik massgeblich beeinflusst?
Mein politisches Elternhaus und somit beide Eltern, meine Mutter, die Schriftstellerin Rosemarie Keller und mein Vater Anton Keller, selbst Politiker. Die Freude an der Sprache und die Lust an der Debatte haben mich geprägt. Und wie meinem Vater ist mir neben allen Themen auch die Kulturpolitik wichtig. Sie geht auf der politischen Agenda oft vergessen.
6 Welches ist ihr Lieblingsheld aus Büchern oder Filmen?
Nur eine Auswahl: Chaplin im grossen Diktator, Balu der Bär im Dschungelbuch, Catherine Zeta Jones und Renée Zellweger in Chicago.
7 Worüber können Sie lachen?
Am besten über mich. Vor zwei Jahren bekam ich ein Mail von einer Schulfreundin aus Australien. Sie hätte gerade CNN gehört. Ob das mein Ernst sei, dass ich neue Unterhosen für Frauen fordere, um die Attraktivität der Armee zu verbessern? «Was, wieso Unterhosen», schrieb ich zurück, «neue Uniformen!» Ein Korrigendum gabs leider nie, dafür Weltbekanntheit.
8 Was macht Ihnen Angst?
Der Blick von den freiesten aller Welten in westlichen Demokratien und Rechtsstaaten seit dem 2. Weltkrieg in den Abgrund von Diktaturen, die sich stärker zu etablieren scheinen. Mich ängstigt die momentan entfesselte Geschichtslosigkeit. Dies unter anderem in der Rechtfertigung des völkerrechtswidrigen Überfalls Russlands auf die Ukraine von gewissen Kreisen. Des weiteren ertrage ich es nicht, was nicht ganz 80 Jahre nach dem Krieg auf Europas Strassen passiert. Brandkörper treffen Synagogen. Jüdische Menschen getrauen sich nicht mehr auf die Strasse. Hakenkreuze zieren Schulwände. Geschrien wird: «Juden ins Gas», oder «Wir wollen ein Kalifat». Haben die alle den Verstand verloren?
9 Woran glauben Sie?
Im Anschluss an die letzte Frage daran, dass «Nie wieder» ein historischer Auftrag ist. In Europa und weltweit. Wie Demokratien von Demagogen ausgehebelt werden, zeigt die jüngere Geschichte Europas. Ich habe mir oft überlegt, ob ich mich so mutig, wie meine Grossmutter verhalten hätte, als sie im Hexenkessel des 2. Weltkrieges rund um die Schweiz jüdische Flüchtlinge in ihrem Badener Hotel Rosenlaube bei sich aufnahm, um sie vor dem sicheren Tod und der Abschiebung zu schützen. Dafür gab sie alle als ihre Verwandten aus.
10 Welche Rolle spielt Ihr Mann für Ihre Politik und Ihre Karriere?
Er ist mein bester Berater. Nie aus der Ruhe zu bringen und im strategischen Denken einfach nicht zu toppen.
11 Was ist Ihr Lieblingsgericht, das Sie selber kochen?
Beispielsweise Lachs, eingerieben mit Zitronensaft, Ingwer, Pfeffer und Salz. Dann lege ich ihn auf ein Bachtrennpapier und gare ihn im Ofen bei knapp 200 Grad. Dazu gibt es gebackene Kartoffeln mit Quark und Salat.
12 Was ist Ihre grösste Jugendsünde (die Sie teilen möchten)?
Beim «Schule schwänzen» kam einiges zusammen. Das fand jedoch ein abruptes Ende nach einem Morgen, den ich mit Freunden in einem Kafi verbrachte. Wir standen auf der Strasse und wollten mit Autostopp zur Schule. Der Fahrer des ersten Autos, das anhielt, war mein Vater…
13 Wenn Sie einen Tag lang die Welt regieren könnten, welche drei Dinge würden Sie ändern.
Wie die Kandidatinnen bei den Wahlen zur Miss World und würde ich den Weltfrieden anordnen. Des weiteren müssten alle Staaten die Klimaziele einhalten. Und dann gäbe es ein Gesetz, dass diese Änderungen, auch an allen anderen Tagen gültig sind.
14 Was macht Ihnen am meisten Respekt im Hinblick auf das Ständeratsamt?
Die hohe zeitliche Verpflichtung. Darauf bereite ich mich vor.
15 Was ist bisher Ihre grösste Leistung als Nationalrätin?
Gesamthaft wohl die Breite meiner Themen und offensichtlich treffen sie auch den Nerv. So wie gerade eben bei meinem Engagement gegen den Antisemitismus oder Terrorgruppen wie Hisbollah oder Hamas. Innenpolitisch fordere ich unter anderem die Abschaffung der Heiratsstrafe bei den Steuern und der AHV, generell mehr Generationengerechtigkeit auch gegenüber jungen Menschen. Und meine Forderungen für einen verbesserten ÖV im Kanton Aargau werden gehört.
16 Was macht eine gute Ständerätin aus?
Die Sensibilität für die Vielfalt eines Kantons und die vielfältigen Bedürfnisse der Menschen.
17 Was mögen Sie am meisten daran, Politikerin zu sein?
Den Austausch mit der Bevölkerung. Davon nehme ich auch die Inspiration. Gewählt zu sein, bedeutet, eine Stimme für die Wählenden zu haben. Zumindest für vier Jahre. Und diese Stimme erhebe ich.
18 Geht Politik ohne Lügen?
Ja. Es bedingt aber Standhaftigkeit von Medien und Politik gegenüber Fake-News.
19 Warum sollte ein Mann, der rechts der Mitte steht, Sie wählen?
Als wirtschaftsfreundliche Politikerin stehe ich für die Fortführung des bilateralen Weges und die Offenheit zu Europa und der Welt. Dies für unsere Unternehmen, unsere Forschung, unsere Arbeitsplätze, unseren Exportkanton und unsere Versorgungssicherheit und generell unsere Sicherheit. In diesem Sinne sehe ich diese Wahl auch als eine Richtungswahl. Abschottung kann sich die Schweiz nicht leisten. Je länger, je weniger.
20 Feminismus & Gender: Was sind berechtigte Anliegen, was geht Ihnen zu weit?
Wenn ich den Kampf um die Frauenrechte in anderen Ländern sehe, dann braucht es unbedingte Solidarität, beispielsweise mit den Frauen im Iran und in Afghanistan. Wir dürfen es auch nie zulassen, dass sich in unseren westlichen Gesellschaften Parallelrechte und patriarchale Strukturen etablieren. Da sind wir viel zu blauäugig. Bei der Gleichstellung haben wir viel erreicht, aber weitere Engagements sind von Nöten, etwa bei der besseren Vereinbarkeit von Familien-und Erwerbsarbeit, bei der Familienbesteuerung, bei der Bewertung der Familienarbeit, die nach wie vor als Biografielücke gilt. Bei vielen Forderungen verlieren wir uns jedoch in Absurditäten: An der Uni Flensburg musste eine Frauenbüste entfernt werden, weil man sich an den breiten Hüften der Figur störte. Also bitte sehr.
21 Was kann Benjamin Giezendanner besser als Sie?
Die SVP von sich überzeugen.
22 Was bedeutet für Sie Gerechtigkeit?
Solidarität.
23 Was bedeutet für Sie Freiheit?
Dass sie keine Selbstverständlichkeit ist. Im Kampf darum sterben täglich in vielen Ländern tausende von Menschen. Beispielsweise in der Ukraine. Ich hatte die Gelegenheit, mit Bundesrat Cassis den ukrainischen Präsidenten Selenski zu treffen. Wir besuchten den Gürtel um Kiew, den die Russen zu Beginn des Krieges besetzten. Die Schilderungen der Bewohner eines Dorfes, (von 110 Häusern, waren 85 in Grund und Boden geschossen), lassen mich nicht mehr los. Ich hörte von Folterungen und Entführungen. Ich stehe dazu: die Freiheit der Schweiz als souveräner Staat wird auch in der Ukraine als souveräner Staat verteidigt. Es braucht viel mehr humanitäres Engagement der Schweiz in der Ukraine.
24 Was ist nach Ihrer Meinung das grösste Problem in unserer Gesellschaft und wie würden Sie es angehen?
Die zunehmende Polarisierung und Verhärtung des politischen Diskurses. Deshalb möchte ich die Menschen überzeugen, mehr gemässigte Kräfte zu wählen.
25 Gibt es eine Volksabstimmung, bei der Sie im Nachhinein anders stimmen würden?
Nein.
26 Was könnten Sie sich nicht verzeihen?
Mir den Mund verbieten lassen und die Überzeugungen.
27 Welche internationale Persönlichkeit hat Ihre Bewunderung?
Die iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi für ihr Engagement gegen die Todesstrafe und für die Frauenrechte. Sie bekam eben den Friedensnobelpreis zugesprochen und erfuhr davon im Gefängnis.
28 Was würden Sie anders machen, wenn Sie nochmals 20 wären?
Wohl nichts. Es bedingte ja, dass ich meinem jungen Ich Kurskorrekturen vorschlagen müsste. Von meinem älteren Ego Marianne Binder-Keller hätte ich mir damals aber kaum etwas raten lassen. Das ist auch gut so. Mein Leben verlief sehr glücklich.
29 Wie verbringen Sie am liebsten Ihren Sonntag?
Umgeben von Büchern und Zeitungen gerne auf unserem Sofa. Zum Abendessen kommen jeweils die Kinder mit ihren Familien vorbei.
30 Was sollte die Öffentlichkeit von Ihnen wissen, was Journalisten bisher nie gefragt haben?
Da bin ich überfragt.