«Bleiben Sie so, wie Sie jetzt sind. Nämlich überzeugt, zu wissen, wie die Welt besser zu machen sei!»
Ready for the next step.
Sehr geehrter Herr Rektor,
sehr geehrte Frau Prorektorin,
sehr geehrte Dozierende der Berufsfachschule Gesundheit und Soziales,
sehr geehrte Absolventinnen und Absolventen,
sehr geehrte Eltern, Verwandte und Freunde
Ich freue mich, dass ich an Ihrer Abschlussfeier ein paar Worte sprechen darf und dass ich es für eine so anerkannte Bildungsinstitution wie die Ihrige tun darf, ehrt mich. Ich bin ausgiebig auf Ihrer hervorragend gestalteten Website herumgesurft und was ich erlebte, machte mir Lust, mich ebenfalls wieder einmal ein bisschen nachhaltiger weiterzubilden. Damit will ich selbstverständlich nicht sagen, dass man in der Politik nichts weiss. Im Gegenteil. Man weiss enorm viel, aber von allem mehr oder je nachdem auch etwas weniger. Und mit so einem «mehr oder weniger»- Wissen, liebe Diplomandinnen und Diplomanden, wäre ich wohl anders als Sie krachend durch die Prüfungen gefallen… Zurück zur Website: Ich bestaune die Bildungsangebote Ihrer Schule, sitze in der Mensa und anderen Aufenthaltsräumen, studiere die Dozentinnen und Dozenten, die Anzahl der Lernenden und die Vision Ihrer Schule: Achtsamkeit, Leidenschaft, Lösungsorientiertheit, Respekt, Vernetzung, Gestaltungswille, Selbstverantwortung, Feedbackkultur, handlungsorganisiertes Denken, den Fokus auf organisatorische Fähigkeiten. Ich bin stolz, dass wir in unserem Kanton eine solch hervorragende Bildungsstätte haben.
Aber nun, zu Ihnen, liebe Diplomandinnen und Diplomanden. Sie haben einen grossen Schritt getan und Sie sind bereit, für den nächsten. «Ready for the next step» ist das Motto Ihrer Feier. Sie sind jetzt also die Fachkräfte, nach denen die Wirtschaft und die Gesellschaft händeringend suchen. Sie gehören zu den begehrtesten Persönlichkeiten, denn der Fachkräftemangel ist allgegenwärtig. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Exklusivität. Sie sind ready for the next step, bereit, für den nächsten Schritt, nämlich Ihre Rolle wahrzunehmen in unserer Gesellschaft. Die Zukunft steht Ihnen offen. Und die Gesellschaft und die Wirtschaft bauen auf Sie.
Bevor Sie diesen next step aber tun, lassen Sie mich mit Ihnen dennoch kurz bei diesem, Ihrem «one and only»-Augenblick verweilen. An diesem one-and-only-day, an welchen Sie sich, das sage ich aus Erfahrung, schliesslich habe auch ich einmal eine Schule abgeschlossen, ein Leben lang erinnern werden. Solche Momente an diesem einen Tag leben davon, dass man den Lauf der Zeit verlangsamt und den Augenblick verweilen lässt. Einerseits, um ihn besonders zu geniessen, ich nehme einmal an, dass dieser Tag für Sie sich sicher auch zu einer ausgiebigen Nacht entwickelt… Andererseits, um kurz zurückzublicken auf eine Zeit mit Ihrer Klasse, Ihren Lehrern, Ihren Kameradinnen und besten Freunden. Eine Zeit, in welcher Sie stets in Gesellschaft waren. Und wenn ich von mir sprechen darf, so war es, eine unglaublich unbeschwerte und lustige Zeit. Auch wenn das manchmal vielleicht auch nicht immer so war, einfach immer unbeschwert, meine ich, aber das Schöne an der Erinnerung besteht darin, dass das Gute überwiegt. Und die Erinnerung ist schliesslich das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können. Jean Paul.
Ich kann es nicht lassen, liebe junge Menschen, die Sie heute Ihr Diplom bekommen, denn ich bin Politikerin, ich muss das landen können: Sie haben jetzt einige Jahre lang miteinander gelebt, gestritten, gelacht, gelernt, eventuell gespickt, sich vielleicht auch gegen Lehrpersonen solidarisiert, sind einander ständig über den Weg gelaufen, sind sich manchmal vielleicht auch auf den Keks gegangen und Sie haben sich wieder versöhnt. Sie haben Teamarbeiten geschrieben, Prüfungen, Sie haben gute Noten bekommen und sich über schlechte aufgeregt. Sie haben debattiert, gemotzt und Lösungen gefunden. Auch wenn Sie unterschiedliche Meinungen haben und unterschiedliche Persönlichkeiten sind, Sie bildeten zusammen einen Kosmos, eine Gemeinschaft. Sie haben ihr Zusammenleben an Ihrer Schule gestaltet und letztlich zusammen das gemacht, was man Politik nennt. Denn Politik ist die Kunst des zusammen etwas Machens. Und gute Politik ist, wenn es gelingt. Bitte bleiben Sie so, wie Sie jetzt in Ihrem Alter sind. Nämlich überzeugt, zu wissen, wie die Welt besser zu machen sei. Werden Sie nicht unpolitisch! Sie sind privilegierte Bürgerinnen und Bürger. Sie leben im einzigen direkt-demokratischen Land dieser Welt. Der Zürcher Wirtschaftswissenschaftler Bruno S. Frei, der aus ökonomischer und staatspolitischer Sicht Glücksforschung betreibt, vergleicht so Volkswirtschaften und Staaten. Die Schweiz gehört demnach zu den glücklichsten Ländern der Welt. Einer der Gründe, weshalb die Schweizerinnen und Schweizer sich selber als sehr glücklich einschätzen, sei die direkte Demokratie. Das Mitentscheiden können. Nutzen Sie dieses Recht und diese Pflicht. Gehen Sie stimmen und wählen. Gestalten Sie dieses Land mit ihren Themen. Bringen Sie sich ein. Die Schweiz ist auf Sie angewiesen. Machen Sie mit, sonst wird mit Ihnen gemacht. Ready, for the next step zu sein, heisst Ihre politische Zukunft und Ihre politische Verantwortung wahrzunehmen. Sie können vieles auf dieser Welt den letzten Generationen in die Schuhe schieben, aber das ist jetzt vorbei. Die Bühne ist frei für Ihre nächsten Schritte. The stage is yours. Let’s give you a big hand. Bevor ich weiterspreche, gibt’s deshalb einen Zwischenapplaus für Sie. Und die Regieanweisung ist: Da müssen jetzt nicht Sie klatschen, sondern alle anderen im Saal. Danke für den Applaus. Sie haben ihn verdient.
An diesem one-and-only-day, an welchem Sie zum Sprung in die Zukunft ansetzen, drängt sich ein Buch des englischen Autors David Nicholls auf, mit dem Titel «One Day». Es ist auch verfilmt worden, vielleicht kennen Sie den gleichnamigen Film der dänischen Regisseurin Lone Scherfig. In den Hauptrollen sind Anne Hathaway und Tim Sturgess. Der Roman handelt von zwei jungen Menschen, die zusammen ins College gehen. Am Tag nach der Abschlussfeier, also dem Tag, den Sie heute auch feiern, nach einer offensichtlich festintensiven Nacht wachen sie zusammen im gleichen Bett auf, ohne zu wissen, wie sie dahin gekommen sind. Nicht dass ich Ihnen solches jetzt nahelege, verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber es geht um die Geschichte, die daraus folgt. Die beiden finden, sie passen überhaupt nicht zusammen, sie ist sehr politisch, links und ökologisch, er apolitisch, geld- und karriereorientiert, und wird später Moderator einer enorm dummen TV-Show. Trotzdem beschliessen sie, in Kontakt zu bleiben, und der Roman handelt davon, was sie 20 Jahre lang, an diesem einen Tag, dem 17. Juli, für Sie wärs halt der 1. Juli, erleben. Den Rest der Geschichte verrate ich nicht.
Der Roman fängt die Einzigartigkeit eines einzigen Tages ein und verbindet ihn mit dem Fluss der Zeit. Ich will ja jetzt nicht den Teufel an die Wand malen, aber auch Sie werden einmal 30 Jahre älter sein, also beispielsweise beinahe so alt wie Ihre Eltern jetzt. Auch Sie werden sich ab und zu über den Weg laufen, hoffentlich. Und auch Sie werden dann merken, dass der heutige Tag, die gemeinsame Schulzeit, Ihr Leben mehr geprägt hat, als Sie vielleicht heute denken.
Auch Sie werden die Erfahrung machen, dass es Tage gibt, die ein Leben lang in Erinnerung bleiben. Und Sie werden die Erfahrung machen, dass die ersten 20 Jahre Ihres Lebens eine viel längere Zeitspanne sind als die kommenden 30 Jahre darauf. Ehe, Sie es merken, gibt es junge Leute, die Sie alt finden. Ich habe das selbst erleben müssen. Ich drehte zu Hause meine Musik auf, bei der ich dachte, sie sei eigentlich ziemlich cool, Stones halt, und so weiter. Da rief mein Sohn aus seinem Zimmer, er war damals etwa in Ihrem Alter: «Mami, würdest du bitte alles etwas leiser machen, das ist ja nicht zum Aushalten, so etwas von 70ger Jahre!» Ich werde das auch heute wieder sehen, ich gehe nämlich nachher ans Bob Dylan-Konzert nach Montreux. Viele Leute in Ihrem Alter werden da nicht herumstehen…
Ich komme zum Schluss. Der Roman «One Day» von Nicholls weist darauf hin, dass es wichtig ist, jeden Tag als einzigartig anzunehmen, das Beste daraus zu machen, und nicht zu zögern, die Chancen zu ergreifen. Deshalb ist heute sicher ein einzigartiger Moment, ein wichtiger Tag, und deshalb lege ich Ihnen dieses Buch ans Herz. Dies einfach als Tipp, falls Sie sich diesen Sommer einmal langweilen. Beispielsweise an einem Sandstrand, an den Sie mit Easy Jet gelangten, was ich Ihnen gerne verzeihe, auch wenn Sie am Klimastreik mitmachten, ich bin die letzte, die an diesem Tage moralisieren will. Das Leben besteht aus Widersprüchen. Wichtig ist es einfach, sie nicht zu übertreiben. Es gibt überall Spiegel, in die man halt manchmal schauen muss.
«One Day» heisst übersetzt «an diesem Tag» und es heisst «eines Tages». Es umfasst Ihr ganzes Leben und alles Glück jedes einzelnen Tages dazwischen, das Sie in der Hand haben. Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute, im privaten und im öffentlichen Leben. Jedes Gelingen für Ihre Welt, die Sie zukünftig gestalten.
Meine damals 80-jährige Grossmutter hat vor 35 Jahren den Zeigefinger meiner eben geborenen Tochter mit ihrem Zeigefinger berührt. Das michelangelinisch anmutende Bild habe ich immer im Kopf. Und dann sagte sie zu meiner Tochter: «Wie gerne würde ich, wenn du einmal so alt bist wie ich jetzt, unsere zukünftige Welt mit meinen Augen durch deine sehen.» Sie werden diese Welt sehen. Freuen Sie sich an dieser Welt. Gestalten Sie sie. Jede Generation hat ihre Aufgaben zu erfüllen. Vielleicht gibt es auch dafür einmal Noten.
Nochmals herzlich Gratulation. Ready for the next step. Und alle weiteren Schritte. Sie werden sie wie Ihr heutiges Diplom zuversichtlich, erfolgreich und mutig meistern.
Viel Glück! Und Segen! Ich danke Ihnen.