Ich spreche hier zu einem Vorstoss, der in ähnlicher Form auch anlässlich der morgigen Gleichstellungsdebatte traktandiert ist. Es geht mir um die Aufwertung der Familienarbeit. Die Debatte zur Vereinbarkeit von Familien-und Erwerbsarbeit richtet sich in der Regel vornehmlich darauf, wie und in welcher Form Strukturen geschaffen werden können, damit unsere gut ausgebildeten Mütter und Väter in möglichst hohen Pensen einer Erwerbsarbeit nachgehen können. Familienergänzende Betreuungsstrukturen sind dafür unumgänglich. Und unbestritten sowieso.
Meines Erachtens braucht es jedoch verstärkt bei diesem Thema einen Fokus auf das Potential der Familienarbeit selbst. Die dabei erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten sollten Teil der Arbeitsbiografie sein und als Wiedereinstiegskriterium anrechenbar. Der gesellschaftliche Nutzen der Familienarbeit ist wohl unwidersprochen. Man stelle sich vor, sie würde fehlen! Wer sich einmal in der Situation befindet, jemanden dafür einstellen zu müssen, weiss, wovon ich spreche. In die Familienarbeit werden jährlich 6.5 Milliarden Arbeitsstunden investiert. Sie ist also auch volkswirtschaftlich gesehen unersetzlich. Angesichts der Tatsache, dass sich heutzutage 85 Prozent der Paare Erwerbs-und Familienarbeit aufteilen, sind das eben mehr und mehr auch Männer, welche darin involviert sind.
2010 hat das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) die Aufwertung und Anerkennung der Familienarbeit gefordert. Es sei eine «Verschwendung der Ressourcen», wenn Familienarbeit vorwiegend als Biografielücke fungiert und die dabei erworbenen Schlüsselkompetenzen wie Belastbarkeit, Flexibilität, Kommunikations- und Organisationsfähigkeit keine Rolle spielen. Diese Kompetenzen sind grundsätzlich auf dem Arbeitsmarkt gefragt und deren Bedeutung für die Wirtschaft haben signifikant zugenommen. Es braucht Rahmenbedingungen, um Lücken im CV zu schliessen und um beiden Elternteilen bessere Chancen auf Teilhabe an der Erwerbstätigkeit zu ermöglichen.
Aktuelle Studien (Soft Skills aus dem Kinderzimmer. Zusammenfassung der Berichte 1-4 der Studie
«Elternkompetenzen & Arbeit», 4. Juni 2019, Lask & Junker, Nieder-Ramstadt/Frankfurt a.M.) belegen das genaue Gegenteil.
Der Arbeitsmarkt erleidet durch die mangelnde Anerkennung der Familienarbeit einen Kompetenz- und Fachkräfteverlust von etwa 50 Prozent. Die vom EBG 2010 verwendete Formulierung («Verschwendung von Ressourcen») kann klar adressiert und belegt werden. Die Anerkennung der informell in der Familie erworbenen Kompetenzen im Sinne einer allgemein gültigen und breit anerkannten Zertifizierung ist daher in einer Gesamtstrategie zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit zu berücksichtigen. Die Aufwertung der Familienarbeit stärkt die Gleichstellung, da Kompetenzen in der Familienarbeit unabhängig vom Geschlecht erworben werden, sie erhöht die Chancen von Eltern beim Wiedereinstieg in den Beruf oder Aufstockung des Pensums, sie steigert somit mittel- und langfristig die Beschäftigungsquote, vor allem von Frauen.
Der Bundesrat ist gebeten, den volkswirtschaftlichen Nutzen der Familienarbeit (jährlich 6,5 Mia Arbeitsstunden) aufzuzeigen und mittels Zertifizierung oder anderer geeigneter Massnahmen der Familienarbeit die notwendige Anerkennung zukommen zu lassen.
Als Aspekt der besseren Vereinigung von Familien-und Erwerbsarbeit soll Familienarbeit, ob für Männer oder Frauen, Teil der Arbeitsbiografie sein.
Das ist der Vorstoss.