Der Krieg in der Ukraine hat unsere scheinbaren Gewissheiten in Europa verändert.
Ende Oktober hatte ich die Gelegenheit, mit Bundespräsident Cassis nach Kiew zu reisen. Eben hatten die Russen begonnen, mit iranischen Drohnen die Stadt zu beschiessen und gezielt die Energiequellen lahmzulegen. Eine zynische Kriegstaktik, den Menschen die Grundbedürfnisse zu nehmen. Nach unserer Ankunft fuhren wir in ein kleines Dorf. Von 110 Häusern hatten die Russen 85 in Grund und Boden geschossen. Es war bitterkalt, wir vertraten uns die Beine, in den Ruinen lag ein Ball. Wir erfuhren von dem Projekt des Ostschweizer Unternehmers, der Holzhäuser anfertigt, damit die Menschen über den Winter ein Dach über dem Kopf und ein warmes Bett haben. (Wer dafür spenden möchte, ist übrigens hochwillkommen. Sie finden die Angaben auf https://www.verein-ukraine-hilfe.ch). Zurück in Kiew trafen wir Präsident Selenski, der die Zermürbungsstrategie der Russen schilderte. Die Zerstörung der Energieinfrastrukturen träfe den Nerv, die Menschen stünden vor dem Winter. «Unser Kampf ist existentiell». Das Parlament bewilligte denn auch in der Wintersession einen Nachtragskredit von hundert Millionen Sofortunterstützung in der Ukraine.
Der Krieg in der Ukraine hat unsere scheinbaren Gewissheiten in Europa verändert. Viele von Grunde auf. Das Recht eines Staates auf die Unversehrtheit der Grenzen etwa, die selbstverständliche Garantie der Bürgerinnen und Bürger auf Freiheit und Sicherheit. Und auf einmal ist auch der Alltag betroffen, unsere sichere Energieversorgung. Wir kommen nicht umhin, auf die Eigenproduktion und die erneuerbaren Energien zu setzen und das eigene Potential besser zu nutzen.
In diesem Zusammenhang lohnt sich ein Blick auf das Potential unserer Speicherseen. Sie waren zu Beginn des Winterhalbjahres nur leicht über 80 % gefüllt, obwohl sie am Ende des vorangehenden Winters bloss auf 20 % ihres Energieinhalts abgesenkt worden waren. Dank des warmen Wetters im 4. Quartal 2022 und über den Jahreswechsel füllten sie sich sogar noch etwas mehr und konnten dann lange geschont werden. Damit können wir hoffen, diesen Winter ohne grössere Probleme zu überstehen.
Was ist aber nötig, dass wir in winterlichen Wärmephasen, die in Zukunft noch vermehrt zu erwarten sind, wieder Reserven bilden können? Wo immer sinnvoll, muss die Möglichkeit geschaffen werden, aus tieferliegenden Gewässern bei Überschusssituationen Wasser hochzupumpen. Dabei soll es nicht um neue Grosskraftwerke mit entsprechender Beanspruchung der Landschaft gehen, sondern um die Anpassung von existierenden, meist vor mehr als einem halben Jahrhundert gebauten Anlagen an die heutigen Bedürfnisse.
Mit mehr Pumpkapazität kann die Versorgungssituation im kritischen Winterhalbjahr verbessert werden. Mit mehr Strom aus Sonne und Wind steigt nämlich der Bedarf nach Anlagen, die zwischen dieser naturgemäss schwankenden Produktion und der Nachfrage ausgleichen können und an sinnvollen Orten gebaut, schneiden Pumpspeicheranlagen auch was die Umweltbelastung betrifft, sehr gut ab.
Bei allen Ideen zur eigenen Energieversorgung: eines ist gewiss, wir müssen unsere Energieabhängigkeit zu autokratischen Staaten verändern und die Zusammenarbeit in Europa verbessern. Die Schweiz ist Teil der Europäischen Sicherheitsarchitektur und die Energieversorgung ist grundlegend für die gesamte Sicherheitspolitik auf diesem Kontinent.