Als der Papst am vorletzten Montag zurücktrat, wurde neben verschiedenen kirchlichen Institutionen eine einzige politische für eine Stellungnahme angefragt, die CVP. Im Bemühen, es unserer auch nichtkatholischen Basis recht zu machen, sagte ich, wir seien nicht die Kommunikationsabteilung des Vatikans, weswegen ich mich in offizieller Funktion eines Kommentars enthalten würde. Das stand denn auch so im Artikel, und als ich ihn las, wurde mir klar, dass die Gnade, auf adäquate Weise nichts zu sagen, nur wenigen gegeben ist. Das Erzbistum Vaduz machte es vor und verwies auf den Grundsatz «Prima sedes a nemine iudicatur. Über den Papst kann niemand richten». Schade, war mir das nicht selbst eingefallen. In offizieller Funktion.
In inoffizieller Funktion sei mir ein persönlicher Kommentar erlaubt. Ich finde, es spricht für die Kirche, Menschen in hohem Alter mit bedeutungsvollen Aufgaben zu betrauen. Wenn jemand mit 74 Jahren Papst wird, zeigt dies eine modernere Einschätzung der Leistungsfähigkeit eines Menschen in dieser Lebensphase als es unsere bevormundende versozialisierte Gesellschaft tut, und es ist eine Anerkennung seiner Würde. Ebenso spricht es für den Papst, dass er die Stärke und den Mut hat, diese Aufgabe auch wieder abzugeben. Die Brisanz der Begründung, er fühle sich der Ausübung seines Amtes nicht mehr gewachsen, wird erst offenbar, wenn man sie irgendeinem Staatsoberhaupt in den Mund legt. Ich habe hohe Achtung vor diesem respektvollen Umgang mit der Macht. Dass sie nicht gottgegeben ist, beweist ausgerechnet der Stellvertreter Gottes auf Erden allen Putins dieser Welt. Sie sollten sich das hinter die Ohren schreiben.
Überhaupt lässt mich die Kirche weder offiziell noch inoffiziell kalt, und wenn man sich an die weltweite Anteilnahme erinnert, mit welcher Johannes Paul II vor acht Jahren zu Grabe getragen wurde, geht es wohl nicht nur mir so. Vier Millionen Menschen pilgerten nach Rom. Ein bekennender Protestant bekannte mir im Vertrauen, er sei fasziniert vom Papst und dessen Ausstrahlung als «CEO» eines Unternehmens, welches auf festem Fundament zu stehen scheine. «Wie bringt die Kirche einen solchen Massenauflauf zustande?» fragte er, «bei so viel Weltentrücktheit und rigider Sexualmoral.» Oder Widersprüchen. Denn im Fernsehen sah man die Gläubigen mit offenherzigen Dekolletés vorehelich küssend durch die Strassen ziehen, und eine Frau mit verheulter Nase meinte vor den Kameras, Papst und Pillenverbot, wen kümmert das, gerade Italien habe eine der tiefsten Geburtenraten in Europa, ein grosser Mann sei gestorben, er hätte sich für den Frieden eingesetzt, man solle aufhören, sich mit Nebensächlichkeiten zu beschäftigen. Mamma mia!
Genau: Mamma mia. Wer alles wörtlich nimmt, kann kaum katholisch sein, und wer nicht an Wunder glaubt, schon gar nicht. Es ist unser gemeinsames Geheimnis des Glaubens, dass jeder fassen kann, was ihm geheuer ist. So wie der Blitz nach der Erklärung von Papst Benedikt XVI in die Kuppel des Petersdoms eingeschlagen hat, so ist der erste freiwillige Rücktritt eines Papstes nach siebenhundert Jahren ein weiteres Zeichen dafür, dass man auch in der Kirche aus der Reihe tanzen darf und neue Wege und Widerspruch wie in vielen anderen Religionsgemeinschaften nicht Sünde sind. Der Katholische Frauenbund beispielsweise führt seit Jahren einen eindrücklichen Kampf für die Ordination von Priesterinnen, und niemand wurde exkommuniziert. Die Abschaffung des Zölibats steht bei einem grossen Teil der Kirchenbasis längst zur Disposition, und wenn sich nun Mitglieder der Bischofskonferenz im Zuge des Zeitgeistes auch noch ein Herz fassen und in diesen Fragen eine Öffnung der Kirche «diskutieren» und «die Glut unter der Asche entdecken» wollen, so ist das nicht gerade visionär, doch wenigstens zu anerkennen. Besser spät als nie.
Immerhin ist eine Glut vorhanden, und vielleicht bewahrt sich diese ja gerade auch im Widerspruch zum Zeitgeist. Zumindest ist sie so entstanden. Seit zweitausend Jahren fährt die Kirche als Arche Noah durch Welt, umschifft die Klippen der Veränderung und bewahrt ihre wertvolle Fracht. Sie soll die Luken öffnen und den überholten Ballast entsorgen, doch behutsam. Sonst geht sie in der Beliebigkeit unter, mit Mann und Kirchenmaus. Und bleibt kein Stachel mehr in unserem Fleisch.
Marianne Binder-Keller